Oberhessische Mundart

Was ist unser Dialekt, unser Platt, unsere Mundart?
Ein „Dialekt“, „Platt“ oder „Mundart“ ist die Sprechweise, die nur für einen Ort oder eine sehr kleine Region typisch ist. Sie weist sehr viele sprachliche Eigenheiten auf. Außenstehende können sie nicht ohne weiteres verstehen. Unsere Oberhessische Mundart versteht man nur in Mittel- bzw. Oberhessen, also keineswegs in ganz Hessen oder gar in ganz Deutschland. Unsere Mundart ist unsere Ursprache und damit viel älter als unser heutiges, von allen im Land gesprochenes Deutsch, das es erst seit dem 19.Jahrhundert gibt. Ein echter Mundartsprecher hat immer zuerst seinen Dialekt erlernt, erst danach das Hochdeutsche. Es stellt für ihn immer so etwas wie die „erste Fremdsprache seines Lebens“ dar.

Unsere Ursprache wird im südlichen Deutschland Dialekt genannt, weiter nördlich heißt sie Platt, allerdings auch in Ober- bzw. Mittelhessen. Mundart meint dasselbe.

Eines der ganz alten Wörter der deutschen Sprache heißt „Krappan“. Damit meinte man ein Tongefäß mit zwei Griffen. Es diente der Zubereitung von Speisen – und daran erinnert heute noch unser Mundartwort „Krobbea“. Damit könnte meines Erachtens auch das Wort „Krabbea“ (Haken) in Zusammenhang stehen, denn zu früheren Zeiten hing der Topf immer an einem Haken über dem Feuer.

Was ist ein die regional gefärbte Alltagssprache, also ein „Regiolekt“?
Unsere Alltagssprache bzw. Umgangssprache ist regional gefärbt, also für eine Region typisch und wird nach kurzer Gewöhnung auch von Außenstehenden aus ganz Deutschland verstanden. Ein typischer Regiolekt ist das „Neuhessisch“ in der Gegend von Frankfurt, das sich aber von der Frankfurter Mundart unterscheidet.

Und Hochdeutsch?
Unser Hochdeutsch wurde künstlich geschaffen, um eine überregionale Verständigung zu ermöglichen und eine gemeinsame Basis für den Schriftverkehr und das gedruckte Wort zu in ganz Deutschland zu bilden. Hochdeutsch wird auch von den Nachrichtensprechern und -sprecherinnen in Fernsehen und Radio gesprochen. Sie enthält keine regionalen Besonderheiten.

Was sagen andere zur Mundart?
Der an der Viadrina-Universität Frankfurt an der Oder tätige Sprachwissenschaftlicher
Dr. Peter Rosenberg ist Experte ist für Dialekte. Ich möchte ihn hier sinngemäß wiedergeben: Er sagt: Deutsch – das ist viel mehr als nur Hochdeutsch. Wir müssten normalerweise von den deutschen Sprachen reden und nicht von der deutschen Sprache. Dialekte sind Teilsysteme von Sprachen, und man versteht sie wirklich als ganze Systeme, das heißt, sie haben eine eigene Lautung, sie haben eine eigene Wortbildung, sie haben eine eigene Satzbildung und so weiter, und so fort, das heißt, es sind ziemliche vollständige Systeme. Und nun könnte man fragen: Ja, was unterscheidet sie denn dann eigentlich noch von Sprachen? Das ist eigentlich schwer zu beantworten, und von einem Linguisten wird man da auch keine gültige Antwort bekommen. Die lustigste Antwort hat mal ein gewisser Max Weinreich gegeben. Er antwortete auf die Frage, „What is a language?“ mit dem Satz „A language is a dialect with an army and a navy!“.

Unsere National- oder Hochsprache ist Deutsch. Aber eigentlich ist es auch nur ein Dialekt. Hierzu sagt Peter Rosenberg: Ja, na klar. Das Hochdeutsche ist sogar ein Kunstdialekt. Das heißt, das ist zusammengewachsen durch einen gewissen Ausgleich von Dialekten und dann noch aufgefrischt worden durch Entscheidungen wie etwa von Luther, und man hat sprachliche Formen aus allen möglichen Regionen in Deutschland herangezogen und das Hochdeutsche konstruiert. Aber natürlich ist das Hochdeutsche auch nur eine Sprachvarietät. Das heißt, man braucht nicht zu denken, dass die Dialekte Dialekte des Hochdeutschen wären, sondern des Deutschen, das heißt, des großen Verbandes der vielen deutschen Sprachvarietäten. Das merkt man schon daran, dass die Dialekte natürlich viel älter sind als das Hochdeutsche und übrigens auch ein paar Prozesse machen, die sehr viel fortschrittlicher sind, als das Hochdeutsche sie hervorbringt, weil die Dialekte nämlich ungebremst Sprachwandel machen. Die werden nämlich nicht durch einen Duden oder durch eine korrigierende Lehrerin festgehalten …

Die Entwicklung der Mundart in der heutigen Zeit
Seit Ende der 1950er-Jahre gilt Mundart bei vielen als verpönt. Heute wird sie von Menschen, die nach 1965 geboren wurden, nur noch auf dem „flachen Land“ gesprochen. Alleine die Älteren beherrschen sie heute in ihrer ganzen Vielfalt. Sie wird vermutlich in ihrer ursprünglichen, manchmal sogar von Ort zu Ort abweichenden Form nicht mehr weiter existieren können, möglicherweise aber durch „Regiolekte“, also durch großräumigere Mundarten abgelöst. Wichtig ist, dass Wissenschaftler glauben, dass Dialekte die Sprachbegabung eher fördern als behindern. Und man hat herausgefunden: Je globalisierter die Welt wird, desto mehr Sehnsucht nach Dialekt, also nach einem virtuellen Raum, in dem sich die Menschen auf natürliche Weise verbunden fühlen, entsteht.

Was sagen prominente Köpfe zur Mundart?
Die SWR-Sendung „Nachtcafé“ beschäftigte sich zum Jahresausklang 2016 mit dem Thema „Markenzeichen Dialekt“. Statt viel Blabla gab es durchaus klare Worte von Harald Schmidt & Co.: Hochdeutsch geht von Hirn zu Hirn, Mundart geht von Herz zu Herz! Immer, wenn Menschen etwas wichtiges zu sagen haben, fallen sie in die Mundart! Mundart ist Nähe! Mundart ist ein Teil von uns, ein Schatz, den man sich bewahren sollte. Man sollte sie pflegen!

Was die Erziehung von Kindern in der heimischen Mundart angeht, hat die Zeitschrift „Eltern“ in ihrer Dezember-Ausgabe 2016 eine Aussage von Prof. Heike Wiese zitiert. Die Professorin für deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Potsdam sagt demnach: Seitdem das so genannte Hochdeutsch Anfang des letzten Jahrhunderts von Bürokraten zum Standarddeutsch erklärt wurde, wird es benutzt, um bestimmte Gesellschaftsgruppen auf- und abzuwerten. Diese Überzeugung prägt unsere Gesellschaft stärker als je zuvor, auch wenn sie völlig sinnlos und falsch ist. Deshalb ist es auch nötig, immer wieder die Wichtigkeit von Dialekten zu betonen.
Je stärker ein Kind Dialekt spricht, desto mehr profitiert es davon. Es wächst mit doppeltem Vokabular auf und mit zwei verschiedenen Grammatiken: Das fordert das Gehirn ungemein heraus! Hinzu kommt die emotionale Ebene. Dialekt ist die Sprache des Gefühls, ich spreche sie mit den Menschen, die ich am meisten liebe. Das gibt Sicherheit, Heimatgefühl, Identität.

Hat die Mundart Vorteile?
Für Kinder, die neben der Hochsprache noch einen Dialekt sprechen, ergeben sich viele Vorteile: Sie haben Studien zufolge einen größeren Wortschatz, ein besseres Erinnerungsvermögen und sind konzentrierter. Wer schließlich Hochdeutsch und Mundart beherrscht, besitzt echte Sprachkompetenz!

Warum Mundart im Internet?
Ganz einfach: Wir sind derzeit die letzte Generation, die die ursprüngliche Sprache der Oberhessen in den Dörfern rund um Gießen spricht und zugleich die erste, die in der Lage ist, sie aufgrund der heute verfügbaren Technik nicht nur als Text, sondern problemlos auch im Ton oder als Video für Oberhessen hier und in aller Welt festzuhalten. Damit besteht eine echte Chance, dass unsere Mundart doch nicht so schnell in Vergessenheit gerät.

Was ist eigentlich „Platt“?
Wenn Sie jemanden etwas „platt“ vor den Kopf sagen, sind Sie ehrlich, verschweigen Sie nichts. Unsere Platt ist also die „ehrliche Sprache der Mundart“. Seit frühestem Kindesalter spreche ich „Platt“, unsere lebendige Sprache, die sich in extremer Vielfalt präsentiert. Es gibt nicht die „eine“ hessische Mundart. Die Eigenheiten der Mundart sind nicht einfach, aber durchaus spannend.

Ich freue mich deshalb über alle, die sich mit dem Thema beschäftigen möchten. Schreiben Sie mir ein Mail an kurt.klingelhoefer (add) web.de und geben Sie mir Anregungen, Kritik oder Lob. Ihr Votum ist mir wichtig!

Mundart und Heimat:
Mundart ist natürlich auch ein Stück Heimat. Aber was ist Heimat?
Aus meiner Sicht bietet Heimat zugleich Vertrautheit, Sicherheit, Übersichtlichkeit („alles kennen“), Geborgenheit. Heimat zeichnet sich auch durch eine vergleichsweise geringe Veränderungsgeschwindigkeit aus. Veränderungen lassen sich oft mit beeinflussen. Deshalb ist der Heimatbegriff in diesem Sinne so positiv besetzt.

Tipp:
Wenn Sie Mundart ganz systematisch und „live“ in Bild und Ton erleben, verstehen oder sogar erlernen möchten, folgen Sie einfach diesem Link auf Youtube: Oberhessische Mundarten.

Übrigens: Wir arbeiten an weiteren Youtube-Clips.

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